Die Toilette als Türöffner

(Preisgekrönt / müller/romca)

Wer an Unternehmen am Luftfahrtstandort Hamburg denkt, hat wahrscheinlich in erster Linie große Hallen, schwere Werkzeuge oder geschäftiges Treiben auf dem Vorfeld vor dem Auge. In dieses Schema passt das Büro von Jens Romca, gelegen im Erdgeschoss eines Kontorhauses vis-a-vis der Speicherstadt, so gar nicht. Umso präsenter sind der 48-jährige und sein Kompagnon Jochen Müller dafür auf internationalem Parkett: Mit ihrem Büro müller/romca zählen sie inzwischen zu den profiliertesten Industriedesignern in der Luftfahrt.

Unter anderem stammen die Waschräume von Airbus A330, A340 und A380 , die Kabine der Boeing 767 von Condor, eine 747-First Class der Lufthansa, sowie - als letztes Großprojekt - das Design der jüngst dort eingeführten Premium Economy Class aus der Feder von müller/romca . Auch an Auszeichnungen räumten die Designer schon so ziemlich alles ab, was in der Branche Rang und Namen hat: vom Red Dot Design Award (jüngst für den Premium Economy Sitz der Lufthansa) bis zum Crystal Cabin Award.

Am Anfang stand ein Praktikum in Finkenwerder

Jens Romcas Luftfahrtkarriere startete bereits vor 25 Jahren mit einem Praktikum in Finkenwerder. In der Design-Abteilung bei Airbus kam er zum ersten Mal in Kontakt mit der Branche und blieb anschließend als Werkstudent an Bord, parallel zu seinem Studium an der Fachhochschule in Kiel. An dieser lernte er auch Jochen Müller kennen. Der Hamburger und der Kieler verstanden sich auf Anhieb gut. So gut, dass sie sich direkt aus dem Studium selbstständig machten - auch wenn dies nicht von langer Hand geplant war, wie Romca betont. "Wir hatten zusammen ein paar Aufträge an Land gezogen, ein bisschen Package-Design und ein bisschen für Werbeagenturen. Tja, und damit waren wir dann irgendwie plötzlich selbstständig" lacht er über die Geburtsstunde seines Unternehmens.

Während Jochen Müller seiner Heimatstadt Kiel bis heute treu blieb, zog es auch Romca vor 15 Jahren zurück in die Heimatstadt, nach Hamburg. Seitdem ist man an beiden Standorten gleichzeitig aktiv und im engen Austausch, mit insgesamt drei weiteren festen und mehreren freien Mitarbeitern. Das Kieler Büro ist etwas größer und beherbergt auch eine Mockup-Werkstatt. Der Computer ist für die Designprofis zwar unverzichtbares Arbeitsgerät, doch "nur das Echte ist auch wirklich echt", sagt Romca. 

"Ich glaube, die haben gedacht: Das schafft keiner!"

Inhaltlich gelangte man erst ein paar Jahre nach der Gründung zur Luftfahrt zurück. Airbus entwickelte die A340-600, deren Kabine in der Economy-Sektion eine Besonderheit aufweist: die Waschräume befinden sich nicht nur im Hauptdeck sondern auch im Unterdeck. Kein leichtes Unterfangen für die Entwickler: "In einem Waschraum hat man normalerweise oben weniger Platz als unten. Bei der A340-600 war es auf einmal umgekehrt", beschreibt Romca die Situation. Über seine alten Kontakte bekam müller/romca die Möglichkeit, sich an der Ausschreibung für die Toilette im neuen Langstreckenflieger zu beteiligen. "Ich glaube, die haben damals gedacht, das schafft eh keiner. Das haben wir als Ansporn genutzt, reinzuhauen und die Chance zu nutzen", erzählt der Designer. "Wir haben uns zwei Wochen lang bei Airbus einquartiert und am Ende den Zuschlag bekommen. Die Toilette wurde damit für uns zum Türöffner."

(Lufthansa Lavatory / müller/romca)

Mit der A340-Toilette als Referenz beteiligten sich die Designer anschließend an der Ausschreibung für die Gestaltung der First-Class-Waschräume im neuen Flagschiff A380 von Lufthansa. Auch hier ging der Zuschlag an müller/romca, genauso wie in bei der Neuausstattung der First Class im Jumbo, wo sie mit ihrem Konzept eines Sitzes mit separatem Bett daneben überzeugten. Im Zuge der Neugestaltung ihrer Buchungsklassen baut die Lufthansa die Sitze inzwischen schon wieder aus - dafür wird mit der neuen Premium Economy Class gleichzeitig wieder ein Design von  müller/romca  eingebaut. Sitzhersteller ist ZIM am Bodensee, die Bezüge kommen aus Sörup in Schleswig-Holstein von Paustian Airtex. Die Auswahl des Herstellers läge jedoch letztlich beim Kunden, nicht beim Designer.

Der prestigeträchtige Zuschlag für die neue Buchungsklasse hat dem kleinen Designbüro viel Aufmerksamkeit beschert.  Und eine Menge Arbeit: Insgesamt 2 ½ Jahre gingen von den ersten Entwürfen bis zum Seriensitz ins Land. "Ein Sitz ist eine noch  größere Herausforderung als ein Lavatory", verrät Romca. "Man hat auf engstem Raum unzählige Elemente: Gestell, Stoffe, Polster, Tisch, Elektrik, Bildschirm, Schwimmwesten, Getränkehalter... - und dann muss es ja nicht nur zertifiziert werden, sondern auch noch gut aussehen! Zudem darf man ein Projekt nicht nur aus Passagiersicht denken. Eine Kabine ist immerhin  gleichzeitig Arbeitsplatz. Design, das unpraktisch und lästig ist - und sei es nur hinter den Kulissen - fliegt schnell wieder raus."

Premium Economy bereits das 15. Projekt für Lufthansa

Das Design der Premium Economy war bereits das 15. Projekt, das  müller/romca  für die Lufthansa umgesetzt hat. Damit ist die Airline ein Hauptkunde in der Luftfahrt, einen Vorsprung besäße man dadurch aber nicht. "Es gibt keine Exklusivität, und wir sind international natürlich auch nicht das einzige gute Designbüro. Mal gewinnen wir, mal gewinnen die anderen", nimmt es der Geschäftsführer sportlich. Etwa zwei Drittel des Umsatzes entfallen derzeit auf die Luftfahrt, den Rest bilden andere Segmente von der Computermaus über Wohnwagen bis zur Schnellfähre. Im Aviation-Bereich kommt etwa die Hälfte der Kunden aus dem Airline-Segment, die andere Hälfte sind Zulieferer wie die DIEHL-Gruppe, für die man neben Lavatories auch Galleys entwickelt . Für Airbus direkt arbeitet man inzwischen nicht mehr, was jedoch nicht an den Designern, sondern an der Neuausrichtung der Zuliefererstruktur liegt.

Ein konkretes Lieblingsprojekt aus all den Jahren hat Romca nicht. "Von Externen bekommen wir das beste Feedback immer dann, wenn Produkte relativ verschwenderisch sind. Ich finde, das spannende am Luftfahrtdesign ist aber der Minimalismus, der in diesem Segment den Takt vorgibt. Die Herausforderung, auf kleinsten Raum etwas zu schaffen, das ästhetisch und bequem ist!

"Natürlich ist es auch schön zu wissen, man hat einen Stuhl gemacht, der jetzt durch die Gegend fliegt", ergänzt Romca. Mit seinen Premium Economy-Sitz ist er selbst noch nicht geflogen, doch was noch nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden. Romcas bisheriges Highlight war ein Überführungsflug einer A380, dem er beiwohnen durfte: "Das war klasse - Ich war über den Wolken und konnte mein eigenes Urinal benutzen!"

Originalquelle: Hamburg Aviation / www.hamburg-aviation.de

www.hamburg-aviation.de/de/presse/news/article/view-article/jens-romca-die-toilette-als-tueroeffner.html